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Berücksichtigung von Solidarität und Umverteilung in der Rechtsprechung des EuGH bei grenzüberschreitender Krankenbehandlung

Der EuGH hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Anwendung der Grundfreiheiten bei grenzüberschreitender Krankenbehandlung auseinander gesetzt. Die einschlägigen Entscheidungen sollen hier nicht noch einmal im Detail besprochen werden. Vielmehr soll eine Problematik betrachtet werden, die in Literatur und Rechtsprechung bisher wenig Beachtung erfahren hat: Inwiefern die solidarische Struktur von sozialen Sicherungssystemen und die damit verbundene Umverteilung als Rechtfertigungsgrund einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten anzuerkennen ist.

Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf solidarisch organisierte Systeme wurde von der Rechtsprechung begrenzt. Im Festbetragsurteil vom März 2004 verneinte der EuGH die Unternehmenseigenschaft der deutschen gesetzlichen Krankenkassen mangels wirtschaftlicher Tätigkeit. Eine wirtschaftliche Tätigkeit sei nicht gegeben, da die Krankenkassen an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken; ihnen obliegt eine soziale Aufgabe, welche auf dem Solidarprinzip beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird.

Eine vergleichbare Rechtsprechung in Bezug auf die Grundfreiheiten erging indes nicht. Für die Übertragung dieser Wettbewerbsrechtsprechung des EuGH auf die Grundfreiheiten spricht, dass Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten Mittel im Einsatz für das gleiche Ziel sind: Der Errichtung eines europäischen Binnenmarktes.

Und so ist es nicht stimmig, weichere Kriterien für den Ausschluss des Wettbewerbsrechts aufzustellen, im Bereich der Dienstleistungsfreiheit aber sehr rigide Voraussetzungen für die Rechtfertigungsprüfung der Grundfreiheiten bestehen zu lassen. Schließlich kann die Anwendung der Grundfreiheiten dem Wettbewerbsrecht vergleichbare Auswirkungen auf die solidarische Organisation nach sich ziehen.

Der Fragestellung, ob die solidarische Organisation der Gesundheitssysteme als eigenständiger Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist, wird in vier Abschnitten nachgegangen werden. Im dem sich anschließenden zweiten Abschnitt werden die vom EuGH anerkannten Rechtfertigungsgründe vorgestellt und dahingehend untersucht, ob die Aufrechterhaltung der solidarischen Organisation der sozialen Sicherungssysteme und die mit ihr angestrebte gerechte Lastenverteilung als Rechtfertigungselement von den bestehenden Rechtfertigungsgründen erfasst ist. Die solidarische Organisation zählt, da sie sowohl das Verhältnis Patient – zuständiger Träger als auch das Verhältnis zuständiger Träger – Leistungserbringer prägt, zu den Kernelementen der sozialen Sicherungssysteme. Die solidarische Organisation der beiden Verhältnisse wird im dritten Teil ebenso aufgezeigt werden wie die von den Grundfreiheiten ausgehende Gefährdung für dieses Organisationsprinzips. Im vierten Teil wird auf die Problematik der Störung der solidarischen Struktur eingegangen. Der fünfte Abschnitt bildet den Schlussteil, in welchem zu begründen ist, warum es der Einführung eines eigenständigen die solidarische Struktur der Sicherungssysteme schützenden Rechtfertigungsgrunds bedarf.

Seiten 58 - 64

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1868-7938.2006.02.05
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1868-7938
Ausgabe / Jahr: 2 / 2006
Veröffentlicht: 2006-02-01
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