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Verfahrensrecht: Vorlagepflicht zum EuGH

Art. 267 Abs. 3 AEUV; Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG

1. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet i. R. d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, durch die Fachgerichte nur dann, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind.

2. Mit Blick auf die in Art. 267 Abs. 3 AEUV normierte Pflicht zur Vorabentscheidung überprüft das Bundesverfassungsgericht daher nur, ob die Auslegung und Anwendung dieser Zuständigkeitsregel bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hinsichtlich der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV anhand beispielhafter Fallgruppen näher präzisiert.

3. Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht. Das Bundesverfassungsgericht wacht allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums. Ein „oberstes Vorlagenkontrollgericht“ ist es nicht.

4. Das Bundesarbeitsgericht hat das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt, dass es § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG in der angegriffenen Entscheidung aus Gründen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes des Vertrauensschutzes ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (noch) nicht richtlinienkonform ausgelegt beziehungsweise angewendet hat, obwohl dies methodisch möglich war. Die Gewährung von Vertrauensschutz in die frühere, nicht richtlinienkonforme Auslegung von § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG beeinträchtigt die Verwirklichung der mit der Massenentlassungsrichtlinie verbundenen Ziele. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht von einer Vorlage an den Gerichtshof abgesehen und Art. 267 Abs. 3 AEUV insoweit in einer offensichtlich unhaltbaren und nicht mehr verständlichen Weise ausgelegt beziehungsweise angewendet.

5. Das Bundesarbeitsgericht hätte die Frage klären lassen müssen, ob die Gewährung von Vertrauensschutz mit der unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts (Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV) und die damit einhergehende Beschränkung der Wirkung der Junk-Entscheidung mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

(Leitsatz der Redaktion)

BVerfG, Beschl. v. 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07
Anmerkung von PD Dr. Felipe Temming, Köln

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1868-7938.2015.07.09
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1868-7938
Ausgabe / Jahr: 7 / 2015
Veröffentlicht: 2015-07-07
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