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Umberto Eco: Dire quasi la stessa cosa. Esperienze di traduzione

Die Frage, inwieweit Übersetzungen “treu” sein können, ist so alt wie das Übersetzen selbst. Bereits Hieronymus – als kanonischer Bibelübersetzer sozusagen der Schutzpatron der ganzen Zunft – unterscheidet in seinem oft zitierten Brief an Pammachius zwischen einer Übertragung “verbum e verbo” und einer “sensum de sensu”, zu der er sich bekennt und die er vor seinen Kritikern, die ihm einen zu freien Umgang mit dem Wortlaut der Heiligen Schrift vorwerfen, vehement verteidigt. Soll der Übersetzer sich vor allem an den Forderungen der Zielsprache orientieren oder eher an dem Buchstaben des Ausgangstextes festhalten? Dieses Dilemma zieht sich durch die ganze Geschichte des Übersetzens und die inzwischen beinah uferlose Literatur über das Thema hin, ohne bekanntlich eine befriedigende Lösung zu finden. Das geläufige Wort vom “traduttore traditore” ebenso wie das von Croce gern zitierte Bonmot, dass man nur eine Wahl zwischen einer “bella infedele” und einer “brutta fedele” habe, zeugen davon. Man könnte, je nachdem wie auf die Frage geantwortet wird, von zwei Richtungen oder Modellen sprechen: Im einen kommt es darauf an, das sprachlich Fremde zu assimilieren und unkenntlich zu machen, im anderen, es nicht zu verwischen oder es sogar herauszustellen. Dabei geht es häufig nicht allein um eine Frage der Sprachauffassung oder des literarischen Geschmacks. Im Christentum, dessen missionarischer und universeller Anspruch die Übersetzbarkeit seiner heiligen Texte voraussetzt, kommt meistens das erste Modell zum Tragen. Die luthersche Bibelübertragung ist ein gutes Beispiel dafür. Die jüdische Tradition, die auf ihre Besonderheit bedacht ist, hängt dagegen viel stärker an dem genauen Wortlaut, in dem die Torah überliefert ist, und neigt so zum zweiten Modell. Auch in der Literatur ist die Neigung zum einen oder zum anderen Modell häufig nicht nur mit ästhetischen Positionen verknüpft; vielmehr wird die Übersetzung als Paradebeispiel für die Frage nach dem Verständnis des Anderen betrachtet, wie die Polemiken darüber in der Zeit der Aufklärung und der Romantik zeigen.

Seiten 208 - 211

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2009.01.42
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 1 / 2009
Veröffentlicht: 2009-06-22
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