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“Throw me away”: Prolegomena zu einer literarischen Anthropologie des Abfalls

Was ist Abfall? Es mag verwegen erscheinen, sich mit dieser Frage nicht an einen Wirtschaftswissenschaftler, einen Adepten des Abfallrechts oder einen Fachmann für Entsorgungstechnik zu wenden, sondern an einen Literaten. Doch es lohnt sich, dieses Wagnis einzugehen. Ein kurzer Text von Franz Kafka enthält eine ganze Theorie des Abfalls in höchst verdichteter Form. Es handelt sich um die Nummer 73 aus einer Reihe von 109 Aphorismen, die Max Brod unter dem etwas pathetischen Titel “Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg” erstmals 1953 aus dem Nachlaß seines Freundes publiziert hat. Der Text hat den folgenden Wortlaut: “Er frißt den Abfall vom eigenen Tisch; dadurch wird er zwar ein Weilchen lang satter als alle, verlernt aber oben vom Tisch zu essen; dadurch hört dann aber auch der Abfall auf.” Die anekdotische Prägnanz des Textes täuscht über seine vertrackte Logik hinweg. Er erzählt die Geschichte eines ungewöhnlichen Essers, der den Hunger auf ingeniöse Weise besiegen zu können glaubt, der aber von den Konsequenzen seines Tuns eingeholt wird und schließlich in den Zustand des Mangels zurückfällt. Was es mit dieser Geschichte genau auf sich hat, erschließt sich erst, wenn man ihren Kontext beachtet.

Seiten 318 - 337

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2005.02.07
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 2 / 2005
Veröffentlicht: 2005-10-01
Dokument “Throw me away”: Prolegomena zu einer literarischen Anthropologie des Abfalls