Inhalt der Ausgabe 04/2015
Inhalt
Aufsätze
Wissenschaft ist in Europa – noch – von einer Pluralität der Wissens- und Wissenschaftskulturen und Wissenschaftssprachen geprägt. Die hieraus sich ergebenden Differenzen sind – auch im Hinblick auf gesellschaftliche Innovationen – ein Wettbewerbsvorteil im globalen Spiel, der durch die Begründung einer genuin europäischen Wissenschaftsbildung fruchtbar zu machen ist.
Ziel dieses Beitrags ist es, das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der italienischen Hochschulkommunikation auszuloten und dabei auch einen Blick auf den sprach- und bildungsgeschichtlichen Hintergrund zu werfen. Der universitäre Lehr-Lern-Diskurs scheint – vor allem in den Geisteswissenschaften – durch eine textuell konzeptualisierte mündliche Wissensvermittlung geprägt. Um Einblicke in die hierbei praktizierten Vorgehensweisen zu geben, werden zum einen rekurrierende sprachliche Verfahren aus italienischen Lehrveranstaltungen anhand von Transkriptauszügen aus dem euroWiss-Korpus vorgestellt und kommentiert. Zum anderen werden typische Formulierungsmuster aus einer Interventionsstudie zum Schreiben in der Fremdsprache Deutsch auf ihre Herkunftskulturspezifik abgetastet.
Wissenschaftssprachen sind geprägt sowohl von einer einzelsprachlichen ‚Drift‘ des Ausdrucks zu bestimmten Konstruktionen als auch durch wissenschaftliche ‚Denkstile‘ (Fleck 1980), die sich in „Wissenschaftler-Kommunitäten“ (Ehlich 1995) sprachlich herausbilden. Ein Ausschnitt aus einem japanischen wissenschaftlichen Artikel illustriert dies. In den interkulturellen Konstellationen des zunehmend globalisierten wissenschaftlichen Arbeitens und Publizierens bestehen charakteristische Problembereiche, die nicht unbedingt zu interkultureller Kommunikation in den Wissenschaften, sondern bis hin zur Verhinderung wissenschaftlicher Erkenntnis führen können. Daher scheint das Übersetzen in andere Einzelsprachen unter den Kommunikationsmodi der Mehrsprachigkeit für die Publikation von Wissenschaftstexten im internationalen Kontext eine geeignetere Form zu bieten als die heute oft praktizierte Lingua Franca (ELF) bzw. Zweit- und Fremdsprache Englisch.
Gegenstand dieses Beitrags sind die Probleme, die sich aus der Verwendung von Englisch als universitärer Lern- und Lehrsprache für Nicht-Muttersprachler des Englischen ergeben können, sowie die Potenziale mehrsprachiger universitärer Lehre. Nach einer kurzen Darstellung sprachspezifischer Unterschiede in der Konstruktion von Wissen und der Charakteristika von Lehrveranstaltungskommunikation werden Ergebnisse zweier kleiner empirischer Studien zur Sprachenwahl von Studierenden im Studium vorgestellt. Sie zeigen u.a. ein Phänomen, das als „Kontinuitätsprinzip“ bezeichnet wird: eine Tendenz zum Verbleib in der Sprache, in welcher der Input für die jeweilige verbale Aktivität präsentiert wurde. Dieses Vorgehen wird als eher ungünstig für die Verarbeitung und kommunikative Verfügbarkeit von Wissen in anderssprachlichen Kontexten angesehen. Es folgt ein Blick auf Ansätze zur Lösung der mit Englisch als Lehr- und Lernsprache verbundenen Probleme im In- und Ausland (Spanien, Schweden, Dänemark, Südafrika): Qualitätssicherung englischsprachiger Lehre, Verbesserung der studiumsbezogenen Englischkompetenz, Verwendung von Englisch als lingua franca und die Integration von Fach- und Sprachenlernen. Der Beitrag endet mit einigen Anregungen zur produktiveren Nutzung der Mehrsprachigkeit von Studierenden.
In diesem Beitrag wird versucht, eine sprechhandlungstheoretisch fundierte und zugleich empirisch basierte illokutive Systematik studentischen Fragens zu entwickeln. Ausgehend von dem – als Tiefenstruktur sprachlichen Handelns verstandenen – sprachlichen Handlungsmuster Frage-Antwort werden institutionelle Adaptationen (Taktik der Lehrerfrage, Arztfrage) in ihren Ausprägungen auf Seiten der institutionellen Agenten diskutiert, um die Besonderheiten studentischen Fragens in seiner klientenseitigen Spezifik konturieren zu können. Die funktionale Bandbreite reicht von der einfachen studentischen Frage bis zum illokutiv abgeleiteten Fall des studentischen Lösungsversuchs im Aufgabe-Lösungs-Muster oder der Strategie des Fragen-Ablieferns, von supportiven Fragen zur Wissens-, Verstehens- oder Erwartungsbearbeitung (Nachfrage, Verstehensfrage, Rückfrage) hin zu fragend formulierten Äußerungen, in denen sich ein Umschlag des Lehr-Lern-Diskurses in einen Wissenschaftsdiskurs ankündigt oder vollzieht (weiterführende Frage, Assertionsversuch).
Der Beitrag behandelt studentisches Fragen im Zusammenhang diskursiver Wissensvermittlung komparativ, bezogen auf Natur- und Geisteswissenschaften wie auch auf unterschiedliche Wissenschaftskulturen (Deutschland/Italien). Das – hier erstmals vorgestellte – authentische Material wie auch die sprechhandlungstheoretisch basierten Analysen zeigen nicht nur, mit welchen Mitteln und Verfahren Agenten und Klienten der Institution Universität gemeinschaftlich am Auf- und Ausbau wissenschaftlichen Wissens beteiligt sind, sondern auch, dass diese Verfahren in Deutschland fächerübergreifend zum Einsatz kommen. Im wissenschaftskulturellen Vergleich erweisen sich an der Oberfläche diskursiv erscheinende Verfahren in einer italienischen Physikvorlesung als textuelle Wissensvermittlung.
Memorandum 2014
Wissenschaftliches Wissen entsteht wesentlich aus einem gemeinsamen Ringen um Erkenntnis; sein Korrektiv ist die Kritik. Dies gilt für die stärker verstehend verfahrenden Wissenschaften ebenso wie für die am positivistischen Theoriekonzept oder am praktischen Erfolg orientierten Wissenschaften, und zwar unabhängig davon, wie schmal oder breit die Grundlage ihres kanonisierten Wissens ist. Dabei erweist sich sprachliches Handeln als nicht hintergehbar.
Jetzt bestellen – für den gesamten Campus.