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Der Umbau im Souterrain des europäischen Wohlfahrtsstaatsmodells – Die Reform des niederländischen und des deutschen Sozialhilfesystems im Vergleich (Teil I)

Die Bedeutung der Sozialhilfe als Auffangnetz des Sozialstaates ist mit dem Umbau des Wohlfahrtsstaates, insbesondere dem Abbau und der Begrenzung vorrangiger sozialer Sicherungssysteme, stetig gewachsen. Bereits seit den 80er Jahren wird eine Zunahme der Zahl der Sozialhilfeempfänger beobachtet, die auf die Aussteuerung aus den Systemen der Arbeitslosenversicherung zurückzuführen ist. Aber auch die Reformen anderer Bereiche sozialer Sicherheit, wie der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Rentenversicherung, wirken sich kurz- oder längerfristig auf die Sozialhilfe aus.

Die Bedeutung der Sozialhilfe erschöpft sich jedoch nicht in ihrer wachsenden Relevanz für die soziale Sicherheit großer Teile der Bevölkerung. In den nationalen und internationalen Diskussionen über die Zukunft des Sozialstaats wird die soziale Mindestsicherung – auch wieder in der Variante des Bürgergelds – immer häufiger als Mittel zur Lösung verschiedenster sozialstaatlicher Probleme diskutiert. Auf der europäischen Ebene wird die Ausfüllung des ominösen „Sozialraums Europa“ durch die Sozialhilfe angedacht. Und auf internationaler Ebene erwägen Vertreter Internationaler Organisationen, die bisherige Strategie, kategoriale soziale Sicherungssystemen mit hohem Leistungsniveau (z. B. für Beamte, Soldaten, Arbeitnehmer) auf immer größere Bevölkerungsgruppen auszudehnen, durch eine neue Strategie genereller Mindestsicherungssysteme für die gesamte Bevölkerung zu ersetzen.

Auf den ersten Blick bestechen diese Konzepte durch ihre Übersichtlichkeit und Einfachheit und vor allem durch ihre scheinbare Kompatibilität mit den Erfordernissen globalisierter Ökonomien. Ein zweiter Blick auf die tatsächliche Situation der Sozialhilfe in verschiedenen europäischen Ländern zeigt jedoch die Grenzen der sozialen Sicherung durch Sozialhilfe.

Mit den steigenden Zahlen von Hilfeempfängern nahm der Kostendruck der Systeme der sozialen Mindestsicherung zu, dem auch eine stärker auf Aktivierung gerichtete Leistungsverwaltung wenig entgegen setzen konnte. Die Gestaltungslogik des aktivierenden Wohlfahrtsstaates verlangte weitergehende Reformen auch der Sozialhilfe, die in den Niederlanden mit dem Wet Werk en Bijstand (Gesetz Arbeit und Sozialhilfe) im Jahr 2004 und in Deutschland mit dem SGB II und SGB XII im Jahr 2005 umgesetzt wurden.

Der folgende Beitrag will durch einen Vergleich dieser Reformen zeigen, dass sie den Charakter der Sozialhilfe und ihre Funktion in den Systemen sozialer Sicherheit grundlegend verändert haben. Zu dieser Veränderung tragen aber nicht nur die nationalen Reformen bei. Auch die auf europäischer Ebene gesetzten Rahmenbedingungen beeinflussen diesen Prozess. Der erste Teil dieses Beitrags erläutert am Beispiel der niederländischen Reform die These von der Funktionsänderung der Sozialhilfe. Im zweiten Teil werden die Reformen der Sozialhilfe in den Niederlanden und in Deutschland verglichen und die Bedeutung des europäischen Rechts für die Entwicklung der Sozialhilfe verdeutlicht.

Seiten 98 - 107

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1868-7938.2006.03.03
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1868-7938
Ausgabe / Jahr: 3 / 2006
Veröffentlicht: 2006-03-01
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